An den Garagen auf dem Sportplatz am Soester Schulzentrum hängt seit dieser Woche ein solches Bild. Ein Foto, das jeder Sportler gerne von sich hätte. Gina Lückenkemper strahlt, hat die Arme ausgestreckt und hält eine Deutschland-Fahne über ihre Schultern. Das Foto entstand am vergangenen Sonntag nach ihrer Gold-Medaille bei der U20-Europameisterschaft in Schweden. Es ist das Foto von ihrem bisher größten Erfolg. „I can´t believe it“, sagte sie kurz danach – wie selbstverständlich auf Englisch – im Interview mit einer Journalistin des Europäischen Leichtathletik Verbands. Die Westfalenmeisterin von 2010 ist in der Weltspitze angekommen. Am Mittwoch nominierte sie der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) für die Weltmeisterschaft der Erwachsenen in Peking (22. bis 30. August).
Vor der Garage mit dem Foto vom Sonntag haben sie das natürlich längst mitbekommen. Viele, die sich hier regelmäßig zum Joggen treffen, haben die Soesterin in den vergangenen Jahren beim Training beobachtet. Einige spekulieren schon über Olympia in Rio nächstes Jahr. Andere diskutieren, ob das nicht doch alles etwas schnell geht. Und ihre jüngeren Vereinskameraden aus dem Leichtathletik Zentrum Soest überlegen, wie schnell das denn nun wirklich ist. Eine halbe Stadionrunde in 22,41 Sekunden.
Ein Leben zwischen Schule und Weltspitze
In der Leichtathletik gibt es kaum echte Identifikationsfiguren. Gina Lückenkemper ist auf dem besten Weg, eine solche zu werden. Sie sagt Sätze wie „Ich rocke das hier“ und „Das ist hammer geil“. Auf ihrer Facebook-Seite folgen ihr fast 6.000 Menschen. Hier zeigt Lückenkemper Bilder vom Training und von ihren Wettkämpfen in der ganzen Welt, aber auch von Manfred. Ihrem Kater.
Manchmal schreiben ihr Menschen, die sie noch nie gesehen hat. Gratulieren ihr zu ihren Erfolgen, wünschen ihr Glück, wollen irgendwie zum Ausdruck bringen, dass sie gut finden, was die Soesterin da macht. Eine Situation, an die sie sich noch gewöhnen muss. „Ich kann das gar nicht richtig glauben, da denke ich mir: 'Was ist denn da los? Ich bin doch auch nur ein Mensch.'“ Ein Mensch, der in einem Alter ist, in dem man noch zur Schule geht. Im kommenden Jahr möchte Lückenkemper am Conrad von Soest-Gymnasium Abitur machen. Wenn in zwei Wochen die Schule wieder beginnt, ist sie jedoch in Peking. Vor den Weihnachtsferien hat sie auch ein paar Tage gefehlt. Trainingslager auf Lanzarote. „Das ist manchmal gar nicht so einfach“, sagt Lückenkemper. Die Schule unterstütze sie, stelle sie frei, wenn das nötig ist. Doch: „Manchmal komme ich abends vom Training nach Hause, kippe todmüde ins Bett, müsste aber eigentlich noch lernen.“
Viermal pro Woche fährt sie zum Leistungsstützpunkt in Dortmund. Trainiert dort mit Mehrkämpfern, 400 Meter-Läufern und anderen Sprintern. „Es gab noch nicht ein Training, bei dem wir nicht gelacht haben“, sagt Lückenkemper. Seit diesem Jahr trainiert sie beim Dortmunder Trainer Uli Kunst. Zusätzlich stehen noch bis zu zwei Einheiten in Soest auf ihrem Trainingsplan. Alles für das große Ziel: Einen Start bei den Olympischen Spielen – vielleicht schon im kommenden Jahr in Rio de Janeiro. „Da träumt jeder Sportler von“, sagt Lückenkemper. „Sie kann eine Kandidatin für die Olympia sein“, sagt Sprint-Bundestrainer Ronald Stein.
Ersteinmal kommt jetzt aber die Weltmeisterschaft in Peking. „Das ist unglaublich, da werden dann auch Leute auf dem Aufwärmplatz unterwegs sein wie ein Usain Bolt.“
Die schnelle Soesterin nimmt sich Zeit
Lückenkemper wird die Jüngste im 66-köpfigen DLV-Team sein. Ein Gefühl, dass sie kennt. Schon bei der U20-WM in Barcelona 2012 war die damals 15-Jährige das Küken. Bei der EM am vergangenen Wochenende wählten sie die Teamkollegen zur Mannschaftsführerin. Die Schülerin ist an die Weltspitze gesprintet. „Wichtig ist, dass das gesamte Umfeld cool bleibt“, sagt Bundestrainer Stein. Sie sei jemand, dem er das zutraue. Dabei ist ihre Karriere längst zu einem kleinen Familien-Projekt geworden. Ihr Vater kümmert sich um die Kontakte zu Medien und Sponsoren, ihre Mutter spricht im TV-Interview über ihre Tochter, die schon immer laufen wollte und ihr Bruder sorgt dafür, dass ihre Facebook-Fans schon wenige Minuten nach dem Lauf mitbekommen, wie schnell seine Schwester gelaufen ist. Bei dem Foto nach dem EM-Titel klickten mehr als 2.000 Menschen „gefällt mir“, Hunderte gratulierten. Und die Frau, bei der sonst immer alles schnell gehen muss, verspricht: „Ich lese mir alles durch, so viel Zeit muss sein." mo
Quelle: Soester Stadtanzeiger