Herr Stein, wann hatten Sie auf dem Schirm, dass Gina Lückenkemper eine Kandidatin für die WM in Peking sein könnte?
Stein: Sie ist ja schon in Weinheim stark in die Saison eingestiegen. Dass sie eine Kandidatin für Peking ist, war mir dann aber erst so richtig klar, als sie bei der Junioren-DM in Wetzlar die Norm gelaufen ist. Der EM-Titel in Schweden war für die Nominierung dann nicht mehr so entscheidend. Ich kannte sie, wusste, was sie drauf hat und ob sie dann Europameisterin oder Vize-Europameisterin wird, ist für die Nominierung nicht so wichtig.
Ihre Paradedisziplin ist ja trotzdem eigentlich die 200 Meter-Sprint. Warum startet sie trotzdem über die 100 Meter?
Stein: Das haben ich mit ihr und auch ihrem Heimtrainer Uli Kunst abgesprochen. Die Konstellation für die Staffel steht zwar noch nicht ganz fest, aber wenn sie am Mittwoch die 200 Meter gelaufen wäre und am Samstag in der Staffel zum Einsatz kommt, wäre die Pause möglicherweise auch zu kurz gewesen. Außerdem ist sie über die 100 Meter nicht ganz alleine. Sie kann sich auf dem Aufwärmplatz gemeinsam mit Verena Sailer und Rebekka Haase einlaufen, das ist für eine erste Weltmeisterschaft sicherlich auch nicht ganz verkehrt.
Die WM wird in vielerlei Hinsicht eine Nummer größer sein, als das, was Lückenkemper bisher erlebt hat. Glauben Sie, das sie diesem Druck gewachsen ist?
Stein: Ich habe sie ja nun auch schon kennengelernt und ich denke, dass sie jemand ist, der da nicht dran zusammenbricht. Es geht ja auch gar nicht darum, in Peking irgendwelche Bestzeiten zu laufen. Natürlich soll sie ein ordentliches Rennen machen, aber als junges Küken erwartet niemand, dass sie über sich hinaus wächst. Ich möchte einfach, dass sie einmal vor 80.000 oder 90.000 Zuschauern laufen kann und diese Erfahrung aufsaugen kann. Denn wenn sie gesund bleibt, gehe ich schon davon aus, dass sie für die Olympischen Spiele eine Kandidaten sein kann.
Das geht alles ziemlich schnell. Lückenkemper ist erst 18 Jahre alt. Manche sagen, das geht zu schnell.
Stein: Das gesamte Umfeld muss cool bleiben. Das ist bei Sprintern etwas anderes als bei Kugelstoßern. Das haben wir ja auch damals bei Sina Schielke gesehen, die wurde ja auch total gehypt. Im Sprint stürzen sich sofort die Medien darauf, sprechen von der 'neuen Sprint-Hoffnung'. Da muss man jetzt einfach ruhig bleiben. Natürlich sind das alles gute Leistungen, aber wenn sie nach ganz oben will, muss sie eben auch 11,00 Sekunden über 100 Meter laufen. Wenn sie gesund bleibt – und das ist ja gerade bei jungen Sportlern immer die Hauptsache – werden wir noch viel Freude mit ihr haben. Vielleicht ja schon nächstes Jahr bei den Olympischen Spielen. Dann natürlich in ihrer Paradedisziplin, den 200 Metern.